Ob Kinder Grenzen brauchen oder nicht ist für mich eine Diskussion bei der man sich irgendwie in das Leben eines anderes Menschen (in dem Fall des Kindes) einmischt. Viel mehr ist es doch so, dass ich meine Grenzen habe. So wie jeder Mensch seine Grenzen hat.
Diese Grenzen sind niemals starr, sondern vielmehr veränderbar, in der Art und Weise wie ich mich persönlich entwickle und verändere.
Das sich 'aneinander reiben‘, mit 'Grenzen spielen' ist ein natürlicher Prozess in dem Menschen gemeinsam wachsen. Manch ein Erwachsener hat seine Grenzen jedoch so starr gezogen, dass es keinen Spielraum gibt, um sich gemeinsam zu entwickeln.
Schaut man sich Kinder beim freien Spiel an, in das sich Erwachsene nicht einmischen, erkennt man schnell wie Kinder zu Lösungen gelangen, mit denen alle zufrieden sind. Auf Dauer würde sich kein Kind in eine untergeordnete Position begeben und nur noch machen was die anderen sagen. Eher noch verlässt das Kind das Spiel. Die Reaktionen sind darauf meist sehr unterschiedlich, teils emotional. Doch auch das gehört zum Prozess. Ich beobachtete schon öfters Situationen, in denen ich aus meiner Erwachsenensicht dachte: Oje, jetzt ist es vorbei. Wie sollen wir das wieder in Ordnung bringen.
Es hat keine zwei Minuten gedauert da haben die Kinder bereits eine Lösung gefunden und spielten wieder miteinander - wenn vielleicht auch in anderen Konstellationen, doch auch das ist völlig in Ordnung.
Wir leben in einer Welt in der wir soviel müssen, dass andere Konstellationen und Möglichkeiten quasi nicht existieren. Seinen eigenen Standpunkt klar zu machen und dennoch den Standpunkt des anderen zu akzeptieren und sogar zu unterstützen, gibt es im heutigen Denken und Handeln fast gar nicht. Für die meisten gibt es nur entweder … oder ...
So komme ich zum Gedanken, dass wir mitunter spätestens mit Eintritt in die Schule verlernen Konflikte wirklich konstruktiv zu lösen. Denn die Schule löst, wie manch ein Erwachsener, Probleme nur eindimensional, in eine Richtung denkend: Das Kind / der Andere muss sich anpassen und ändern.
Doch durch das Anpassen verlernen wir unsere persönlichen Grenzen wahr- und anzunehmen. Durch starre Grenzen auf der einen Seite, werden die eigenen Grenzen nicht respektiert und auch kaum Möglichkeiten eingeräumt anders zu handeln.
Um bei der Schule zu bleiben: Ein Kind, dass sich mit dreißig anderen Kindern auf engem Raum einfach nicht wohlfühlt, sich in diesem Umfeld nicht konzentrieren kann und die Freude am lernen verliert (dies dann durch verschiedene Ausdrucksformen zeigt) ist aus Schulperspektive falsch. Unter Umständen bringt das System sogar die Kindeseltern dazu ihr Kind als falsch zu betrachten.
Dass die Schule jedoch sein Lernumfeld prüft, Bedingungen schafft, dass sich alle Kinder wohlfühlen, darauf kommt sie bisher selten. Doch genau das ist der Ansatz, damit sich auch Schule entwickeln kann.
Kinder brauchen keine unnatürlich gesteckten Grenzen. Kinder brauchen Erwachsene, die ihre eigenen Grenzen kennen an denen sie wachsen können.
Sie brauchen Erwachsene, die sie ebenso darin unterstützen ihre (kindlichen) Grenzen zu wahren.
Denn wer von klein auf seine Grenzen nicht aufzeigen darf und ich spreche bewusst von dürfen - denn Kinder zeigen ihre Grenzen sehr wohl, nur werden sie meist übergangen, nicht gesehen - verliert den Kontakt dazu.
Doch wir alle haben und brauchen Grenzen, um uns in gewisser Weise zu schützen vor Übergriffigkeit und Absichten anderer, die uns selbst nicht gut tun, die uns aus unserer Mitte bringen. Wer ständig seine Grenzen überschreitet (weil er verlernt hat sie wahrzunehmen und klar zu machen), sich Erwartungshaltungen ausliefert ist ständig am Ende seiner Kräfte und erleidet früher oder später Depressionen, Burnout oder andere Krankheiten.
Während ich diesen Artikel schreibe, fällt mir im Internet ein Informationsblatt der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft mit den Namen „Mein Kind will nicht zur Schule gehen“ in die Hände. Es passt irgendwie ganz gut zum Thema.
Darin stehen unter anderem folgende zwei Punkte:
Machen Sie ihrem Kind das Angebot nach gemeinsamen Lösungen zu suchen
Machen Sie ihm aber auch deutlich, der Schulbesuch ist Pflicht
Sieht so integratives Konfliktmanagement aus? Komm lass uns eine Lösung finden, aber bitte so, dass DU dich anpasst? Entweder ... oder ...
Unterstützt diese Haltung einen gesunden, jungen Menschen in seiner Entwicklung?
„Sie als Eltern sind für ihr Kind verantwortlich. Sie müssen dafür sorgen, dass ihr Kind immer die Schule besucht“ heißt es einige Sätze später im selben Blatt.
Wie wäre es in Zukunft mit anderen Worten:
„Sie als Eltern sind für ihr Kind verantwortlich. Wenn sie merken, dass es sich in der Schule nicht wohlfühlt, dass es erste Anzeichen von krankmachenden Stress aufzeigt, sprechen Sie mit uns. Wir werden die Ursachen finden und Möglichkeiten aufzeigen, wie ihr Kind ein anderes Lernumfeld, einen anderen Bildungsweg finden kann.“
Ja, ich bin für mein Kind verantwortlich und genau aus diesem Grund möchte ich auch seine Grenzen wahren und ihm andere Möglichkeiten aufzeigen, wenn dieses aktuelle Schulsystem seine Integrität verletzt.
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